Haftung des Finanzdienstleisters nach dem Urteil des Landgerichts München I vom 24.4.2023 zum Aktenzeichen 32 O 2905/22
Wegen der Pflichtverletzungen bei einer Auskunft zu Kapitalanlagemöglichkeiten hat das Landgericht München I am 24.4.2023 einen Finanzdienstleister zur Zahlung von EUR 3 Millionen Schadenersatz an eine Gemeinde in Baden-Württemberg verurteilt. Es ging um eine Festgeldanlage mit einer Bank als Emittentin, die später in Insolvenz gegangen ist. Der Finanzdienstleister hatte die Bonität der Bank gegenüber der Gemeinde mit A- angegeben, obgleich sie in Wahrheit bei nur bei BBB+ lag. Im Prozess versuchte sich der Finanzdienstleister damit herauszureden, dass er nur der „Makler“ der emittierenden Bank gewesen sei und mit der Gemeinde keinen Anlagevermittlungsvertrag abgeschlossen habe, wenngleich er einräumte, eine Liste mit sehr gut gerateten Festgeldanlagen von Banken der Gemeinde vorgelegt zu haben, bei der die falsche Bonität zur emittierenden und später insolventen Bank angegeben war.
In der Presseerklärung 11 des Landgerichts München I vom 28.4.2023 heißt es (letzter Abruf am 26.1.2025):
„Zwar ergäben sich aus dem zwischen dem Finanzdienstleister und der Bank geschlossenen Maklervertrag grundsätzlich keine vertraglichen Pflichten des Finanzdienstleisters gegenüber der Gemeinde. Ferner könne im Maklervertrag kein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier der Gemeinde, gesehen werden, der einen Schadensersatzanspruch für die Klägerin rechtfertigen könnte. Auch bei Bestehen eines Maklervertrages könne aber zwischen dem Makler und dem Dritten ein weiteres, vom Maklervertrag unabhängiges Vertragsverhältnis, bestehen. Zwischen der Gemeinde und dem Finanzdienstleister sei insoweit konkludent ein Auskunftsvertrag im Rahmen der Anlagevermittlung geschlossen worden. Der Finanzdienstleister sei gegenüber der Gemeinde nämlich nicht nur als ‚Makler‘, sondern unter der Bezeichnung „Finanzierungen/Anlagevermittlung“ aufgetreten. Er habe so als Vermittler für Finanzprodukte und darüber hinaus durch das Auftreten seiner Mitarbeiterin, als ‚Rating-Analyst (univ.)‘ für sich besondere Sachkunde reklamiert. Die Gemeinde habe durch die Inanspruchnahme der Leistungen des Finanzdienstleisters deutlich gemacht, dass sie auf dessen besondere Sachkunde und seine Verbindungen vertraue. Damit sei zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis geschlossen worden.
Der Annahme eines Auskunftsvertrags stehe auch nicht entgegen, dass die Gemeinde selbst keine Zahlungen an den Finanzdienstleister geleistet habe. Es sei anerkannt, dass ein Anlagevermittlungsvertrag bzw. ein Auskunftsvertrag auch unentgeltlich geschlossen werden könne und bei Vermittlern auch regelmäßig unentgeltlich geschlossen werde.
Die falsche Auskunft des Finanzdienstleisters sei auch ursächlich für den Anlagenkauf der Gemeinde gewesen. Diese hätte die fragliche Festgeldanlage nicht abgeschlossen, wenn sie zutreffend informiert worden wäre, dass die emittierende Bank tatsächlich nur über ein Rating von BBB+ verfügte. Dabei streite im Rahmen eines Anlagevermittlungsvertrags für die Gemeinde die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Diese Vermutung habe der Finanzdienstleister nicht widerlegen können. Vielmehr habe die Gemeinde die Ursächlichkeit der fehlerhaften Auskunft für ihre Entscheidung nachweisen können.
Hierzu führte die Kammer aus: „Die Kammer ist nach der von ihr der durchgeführten Beweisaufnahme der Überzeugung, dass die Klägerin bei Kenntnis des tatsächliche für die Bank bestehenden Ratings BBB+ vom Abschluss des streitgegenständlichen Vertrags mit der Bank Abstand genommen hätte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verfasserin der Pressemitteilung: Vorsitzende Richterin am Landgericht München I Cornelia Kallert – Pressesprecherin“.
Falsche Auskunftserteilung führt zu Schadensersatz
Dass Anlageberater/-innen und Anlagevermittler/-innen umfassend aufklären müssen und eine Beraterpflicht zu anlegergerechter und objektgerechter Aufklärung sowohl von Verbrauchern/-innen als auch von unternehmerischen und institutionellen Geldanlegern/-innen einschließlich Gemeinden haben, ist seit vielen Jahrzehnten die ständige Rechtsprechung überall in Deutschland. Eine „anlegergerechte“ Beratung berücksichtigt, dass nur Produkte vorgeschlagen werden, die zum Kunden bzw. der Kundin passen, d.h. bei denen der Kunde bzw. die Kundin aufgrund seiner/ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie seiner/ihrer Kenntnisse und Erfahrungen die Folgen seiner/ihrer Anlageentscheidung richtig einschätzen und tragen kann, vergleiche BGH WM 93, 1455 ff, ferner BGH, Urteil zum Aktenzeichen II ZR 133/95. Eine „objektgerechte“ Beratung setzt voraus, dass die Bank oder das Finanzdienstleistungsunternehmen den Kunden/-innen über diejenigen Eigenschaften und Risiken des Anlageobjektes zu informieren hat, die für die konkrete Anlageentscheidung eine Bedeutung haben können.
Risikoaufklärung bei der Anlageberatung und der Anlageempfehlung
Die Rechtsprechung unterscheidet dabei zwischen allgemeinen Risiken wie zum Beispiel der Konjunkturlage und der Entwicklung des Börsenmarktes und so genannten speziellen Risiken, die sich direkt auf das Anlageobjekt beziehen, beispielsweise das Kurs-, Währungs- und Zinsrisiko sowie die beeinflussenden Faktoren dazu. Ebenso spielt die Aufklärung über Insolvenzrisiken der Anbieterseite bei den allgemeinen Risken eine große Rolle. Im vorliegenden Fall einer Festgeldanlage ist das Wichtigste die Bonität der emittierenden Bank. Dabei ist das Finanzdienstleistungsunternehmen verpflichtet, den Kunden bzw. die Kundin über alle erforderlichen Umstände umfassend, richtig, sorgfältig, verständlich und vollständig aufzuklären. Liegt kein Anlageberatungs- und kein Anlagevermittlungsvertrag vor, nimmt die Rechtsprechung in vielen Fällen wie auch hier das Landgericht München I einen Auskunftsvertrag an, welcher ebenfalls umfangreiche Pflichten für den Finanzdienstleister beinhaltet.
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