Schockanruf vom Betrüger – Barauszahlung von der Bank: Urteil des Landgerichts Bonn vom 7.8.2024 zum Aktenzeichen 2 O 112/24
Haben Banken eine Prüf-, Warn- und Schutzpflicht auf Plausibilität, wenn eine 59-jährige Bankkundin unter dem Eindruck eines Drohtelefonats mit dem „Enkeltrick“ erstmals EUR 25.000,00 als Bargeldauszahlung wünscht, nur weil die Kundin „nervös und aufgelöst“ wirkt? Mit dieser Frage hatte sich das Landgericht Bonn in seinem Urteil vom 7.8.2024 zum Aktenzeichen 2 O 112/24 zu befassen.
In der Veröffentlichung des Entscheidungstextes des Urteils in der Rechtssprechungsdatenbank der Justiz Nordrhein-Westphalen heißt es (letzter Abruf am 26.1.2025): „Die Beklagte hat mit der Auszahlung der 25.000,00 EUR am 18.07.2023 in bar an die Klägerin keine dieser gegenüber bestehende (neben-)vertragliche Pflicht verletzt. Sie war vielmehr nach § 675o Abs. 2 BGB zur Ausführung des ihr von der Klägerin erteilten Zahlungsauftrages gesetzlich verpflichtet. Wegen der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge bei Giroverträgen – auch bei Bargeldauszahlungen am Schalter – ist es gemeinhin anerkannt, dass sich ein Zahlungsdienstleister in der Regel auf eine rein formale Prüfung des Inhalts, ob der ihm erteilte Auftrag seinem äußeren Erscheinungsbild nach in Ordnung ist, beschränken darf. Daran bestehen vorliegend keine Zweifel. Ebenso ist anerkannt, dass in Ausnahmefällen Warn- und Hinweispflichten des Zahlungsdienstleisters bestehen können. Diese sind jedoch auf solche Fälle beschränkt, in denen es Treu und Glauben nach den besonderen Umständen des Einzelfalls gebieten, vor Ausführung des Auftrags vorherige Rücksprache mit dem abhebewilligen Bankkunden zu halten, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren. Um einerseits die Banken nicht übermäßig zu belasten und um andererseits Bargeldabhebungen (auch für die Bankkunden) nicht übermäßig zu erschweren, beschränken sich die Warn- und Hinweispflichten auf objektive Evidenz aufgrund massiver Verdachtsmomente; zusätzliche Prüfungspflichten sollen gerade nicht begründet werden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.06.2022, Az.: 18 U 8/21, Rn. 59 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH in seinen Urteilen vom 22.06.2004, XI ZR 90/03, NJW-RR 2004, 1637, 1638; sowie vom 06.05.2008, XI ZR 56/07, NJW 2008, 2245, 2246, Rn. 15 f.). Wenn nun eine Bankkundin – mag sie auch einen nach dem klägerischen Vortrag unterstellten nervösen und aufgelösten Eindruck vermitteln – am Schalter die Barauszahlung eines hohen Betrages verlangt, hat die Bank ohne Hinzutreten weiterer, außergewöhnlicher Umstände die Motivation für die Abhebung nicht zu hinterfragen. Im Gegenteil ist sie aus dem Girovertrag ihrer Kundin gegenüber zur Ausführung des Auftrags verpflichtet, § 675o Abs. 2 BGB (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 24.01.2024, Az.: 3 O 340/23, juris unter Verweis auf BGH, Urteil vom 19.09.2023, XI ZR 343/22, NJW 2023, 3719, 3721, Rn. 24). Auch aus den von der Klägerin behaupteten – und hier ohne Beweisaufnahme unterstellten – Gesamtumständen musste sich der Beklagten bzw. ihren Mitarbeitern nicht aufdrängen, dass die Abhebung des Geldbetrages nicht aus freien Stücken erfolgte. Insofern dürfte es zunächst kaum ungewöhnlich sein, dass eine Bankkundin ihre PIN bei der Bargeldabhebung (mehrfach) falsch eingibt und zunächst – im Mobiltelefon oder an anderer Stelle – nach dieser suchen muss. Dies dürfte vielmehr täglich in Bankfilialen passieren. Ebenso wie die Bereitstellung eines Briefumschlages für den Transport als Serviceleistung, weil Kunden keine Tasche o.ä. bei sich führen. Zudem ist zu beachten, dass es sich bei der noch keine sechzig Jahre alten Klägerin auch keineswegs um eine offensichtlich in Bankangelegenheiten hilfsbedürftige Hochbetagte handelt. Hinzu tritt, dass am Tag vor der Barauszahlung von 25.000,00 EUR noch eine weitere Auszahlung über immerhin 9.000,00 EUR von dem klägerischen Konto mit dem Verwendungszweck ‚Makler‘ vorgenommen wurde. Insofern handelte es sich bei der Abhebung von 25.000,00 EUR keineswegs um eine gänzlich ungewöhnliche Bewegung auf dem klägerischen Konto. Da die Klägerin in der Filiale in Bonn auch nicht bekannt war, wäre den Mitarbeitern der Beklagten alleine ein Blick in den Kontoauszug möglich gewesen. Weitere Kenntnis von der Klägerin und deren Zahlungsverhalten aus persönlicher Anschauung, hatten diese nicht. Insofern legt der hiesige Sachverhalt im Detail noch weniger eine Pflicht zur Nachfrage nahe, als der von dem Landgericht Dortmund (Urteil vom 24.01.2024, Az.: 3 O 340/23, juris) entschiedenen Sachverhalt, zu dem die dortige Klage abgewiesen wurde. Dieses Urteil hat zwar Kritik von Lang/Hofauer (in: BKR 2024, 323) erfahren, der dafür plädiert, ausnahmsweise eine Pflicht der Bank zur Nachfrage anzunehmen, wenn eine Kundin ‚(1) Mitte 60 ist, (2) zu keinem Zeitpunkt höhere Beträge als 300,00 € von ihrem Konto abgehoben hat und (3) bei der gegenständlichen Transaktion sichtlich nervös war‘. Vorliegend mangelt es jedenfalls an den ersten beiden von Lang aufgeführten Kriterien, so dass auch unter Anlegung der strengeren Maßstäbe von Lang hier keine Pflichtverletzung der Beklagten anzunehmen wäre. Es geht hier nicht um die Barauszahlung an einen Nichtberechtigten. Die Klägerin war vielmehr voll geschäftsfähige Kontomitinhaberin und als solche berechtigt, Bargeld – auch in dieser Höhe – abzuheben (vgl. dazu Zahrte in: BKR 2024, 593). Der Schaden entstand hier auch nicht bereits mit der eigentlichen Bargeldabhebung, sondern erst mit der Weitergabe des Geldes an den nichtberechtigten Betrüger. Der innere Beweggrund der Klägerin für die Abhebung des Geldes ist gerade nicht nach außen hervorgetreten und war damit für die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter auch nicht erkennbar. Es würde die oben näher beschriebenen Prüf-, Warn- und Schutzpflichten von Kreditinstituten überspannen, wollte man ihnen abverlangen, jede – und sei es: erstmalige – Abhebung eines hohen Bargeldbetrages durch einen älteren – und sei es: nervös wirkenden – Menschen auf Plausibilität zu überprüfen.“
Prüf-, Warn- und Schutzpflichten einer Bank – Verdachtsmomente im bargeldlosen Geldverkehr
Bei allen Ausführungen von Zahlungen muss die Bank stets ein „redlicher bzw. gutgläubiger „Zahlungsmittler“ sein, vergleiche statt vieler die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 5.2.2009 zum Aktenzeichen B 13 R 87/08 R und die grundlegenden Ausführungen des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 7.2.2019 zum Aktenzeichen IX ZR 47/18, welche Pflichten Banken bei Verdachtsmomenten im bargeldlosen Geldverkehr, also z.B. bei Überweisungen oder Lastschriften, haben: „a) Allerdings trifft ein Kreditinstitut, wenn auf Grund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist, dass ein Kunde bei der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr zum Schaden eines anderen Kunden eine Veruntreuung begehen will, diesem anderen Kunden gegenüber insbesondere dann eine Warnpflicht, wenn der Täter in einer dem Missbrauch der Vertretungsmacht vergleichbaren Weise als mittelbarer Stellvertreter des zu warnenden Kunden handelt (BGH, Urteil vom 6. Mai 2008 – XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 15; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rn. 18). aa) Diese Voraussetzungen können auch erfüllt sein, wenn ein Insolvenzverwalter Zahlungsaufträge (§ 675f Abs. 4 Satz 2 BGB) für ein bei einem Kreditinstitut geführtes Insolvenz-Sonderkonto erteilt, das entweder auf seinen Namen als Partei kraft Amtes einer bestimmten Insolvenzmasse oder auf den Namen des Schuldners lautet (fortan: Sonderkonto; vgl. Jaeger/Eckardt, InsO, § 149 Rn. 47; Schulte-Kaubrügger, ZIP 2011, 1400, 1402). Erforderlich ist, dass der Zahlungsauftrag des Insolvenzverwalters für ein solches Sonderkonto objektiv evident insolvenzzweckwidrig ist und sich der Bank aufgrund der Umstände des Einzelfalls ohne weiteres begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Handlung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens aufdrängen mussten (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 361 mwN; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl., Rn. 2.240; BK-InsO/ Kießling, 2007, § 149 Rn. 23; Vortmann, BKR 2007, 449, 452 f; ebenso BGH, Urteil vom 22. Juni 2004 – XI ZR 90/03, ZIP 2004, 1742, 1744 zum objektiv evidenten Missbrauch der Vertretungsmacht). bb) Dies verpflichtet die Bank nicht, Kontobewegungen auf einem Sonderkonto in der Insolvenz allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte zu überwachen. Maßgeblich ist, ob die Bank ohne nähere Prüfung im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs auf Grund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Veruntreuung schöpft (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2008 – XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 16). Danach handelt eine Bank pflichtwidrig, wenn ihr zum einen im Zeitpunkt der Verfügung über das Kontoguthaben aufgrund der Gesamtumstände bekannt sein muss, dass Gläubigerausschuss, Insolvenzgericht oder Gläubigerversammlung die Bank gemäß § 149 InsO als Hinterlegungsstelle bestimmt haben oder dass das bei ihr eingerichtete Sonderkonto – auch ohne förmliche Bestimmung einer Hinterlegungsstelle – dazu dient, in der Art einer Hinterlegungsstelle die zu Gunsten der verwalteten Masse eingehenden Gelder zu sammeln. Hierzu kann es insbesondere genügen, wenn der Insolvenzverwalter die Hinterlegungsstelle eingerichtet hat und dies der Bank nach den Gesamtumständen bekannt sein muss. Zum anderen muss sich der Bank nach den Gesamtumständen aufdrängen, dass es sich um einen objektiv evident insolvenzzweckwidrigen Zahlungsauftrag handelt, weil die Art der Verfügung mit der Eigenschaft des Sonderkontos als Hinterlegungskonto oder Anlagekonto für Massegelder in einem Insolvenzverfahren offensichtlich unvereinbar ist. Dies ist typischerweise der Fall, wenn der Insolvenzverwalter zu seinen Gunsten über nahezu das gesamte Guthaben auf einem der Bank erkennbar in der Art einer Hinterlegungsstelle geführten Sonderkonto verfügt, ohne dass hierfür triftige Gründe nachvollziehbar genannt werden (vgl. Kuder, ZInsO 2009, 584, 589; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffe, 3. Aufl., § 149 Rn. 26).
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