Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 210/20: UG-Geschäftsführer haftet für die „Altersvorsorge“-Vermarktung einer Blind-Pool-Beteiligung in Start-Ups

Der Geschäftsführer und Inhaber einer Finanzdienstleistungs-Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), also einer UG (haftungsbeschränkt), haftet persönlich mit seinem Privatvermögen einem Anleger auf Schadenersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung, wenn er wie hier bei der Anlageberatung nicht offenlegt, dass er nicht als Einzelperson, sondern im Rahmen seiner Anlagevermittlungs-Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) auftreten möchte und wenn er eine hochspekulative Totalverlustrisikoinvestition ohne entsprechende Aufklärung über die Risiken vermittelt. Der Bundesgerichtshof hat seiner Entscheidung vom 13.1.2022 zum Aktenzeichen III ZR 210/20 folgenden Leitsatz vorangestellt:

Weist eine Unternehmergesellschaft im Sinne von § 5a GmbHG nicht – wie im Gesetz vorgesehen – ihre Rechtsform und die Haftungsbeschränkung in der Firma aus, haftet ihr im Rechtsverkehr auftretender Vertreter für den dadurch erzeugten unrichtigen Rechtsschein gemäß § 311 Abs. 2 und 3, § 179 BGB analog (Anschluss an BGH, Urteil vom 12. Juni 2012 – II ZR 256/11).

Der Kläger in der Entscheidung ist ein Kapitalanleger. Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter, Inhaber und Geschäftsführer seiner Anlageberatungs- und Vermittlungsgesellschaft in der Rechtsform einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gemäß § 5 a GmbHG. Bei der Kapitalanlage, welche der Beklagte dem Kläger als Altersvorsorge vermittelte, ging es um eine über eine Treuhandkommanditistin gehaltene Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft, welche ihrerseits in einen als Blind Pool konzipierten Fonds investierte, der als Investor am Private Equity Markt auftreten und sich mit dem eingelegten Kapital an kleineren und mittleren, nicht börsennotierten Start-Up-Unternehmen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein beteiligen sollte. Hinzu kamen weitere Kapitalanlage- und Versicherungsgeschäfte, die in ein Gesamtsystem integriert waren, das der Kläger unterzeichnete. Die Kommanditgesellschaft wurde 2017 liquidiert und der Kläger verlor sein gesamtes eingelegtes Kapital und musste sogar noch eine ausstehende Pflichteinlage im Gesamtsystem nachzahlen.

Schadensersatz wegen Ungeeignetheit einer Blindpool-Kapitalanlage für die Altersvorsorge

Im vorliegenden Fall lag ein Blind Pool-Geschäft vor, weil das Geld des Anlegers letztlich in unternehmerische Beteiligungen an diversen kleineren und mittleren Existenzgründungsunternehmen investiert werden sollte. Welche Unternehmen dies genau sein würden, war zum Zeitpunkt des Erwerbs der Kapitalanlage durch den Kläger vollkommen offen. Der 3. Zivilsenat des Bundesgerichthofs führt in den Entscheidungsgründen in seinem Urteil vom 13.1.2022 zum Aktenzeichen III ZR 210/20 zur Falschberatung bei einem solchen Blindpool-Geschäft aus:

Auf der Grundlage dieses Vortrags kommt eine Verletzung der Pflicht zu anleger- und objektgerechten Beratung ohne weiteres in Betracht. Der Fonds war für Anleger auf der Suche nach einer Beteiligung zur Altersvorsorge nicht geeignet (vgl. Emissionsprospekt S. 10, Anlage K 5). Der als Blindpool aufgelegte Fonds investierte das eingelegte Kapital in neugegründete oder junge technologieorientierte Unternehmen und setzte dabei auf deren zukünftige Entwicklung. Hierbei handelte es sich um ein hochriskantes Investment, dem ein beträchtliches Risiko des Totalverlustes innewohnte. Der Beklagte hätte die Anlage daher weder als sicher bezeichnen noch einem Anleger empfehlen dürfen, der in seine Altersvorsorge investieren wollte.

Kein Hinweis auf die UG (haftungsbeschränkt) bei der Anlageberatung

In seiner Entscheidung vom 13.1.2022 zum Aktenzeichen III ZR 210/20 führt der Bundesgerichtshof dann weiter aus, dass bei unternehmensbezogenen Geschäften wie der Anlageberatung hier zwar generell der Wille der Beteiligten im Zweifel dahin gehe, dass der Betriebsinhaber – vertreten durch den Handelnden – Vertragspartner werden solle, „sofern der Handelnde sein Auftreten für ein Unternehmen hinreichend deutlich macht (zB Senat, Urteile vom 10. Juni 2021 – III ZR 38/20, NJW-RR 2021, 1223 Rn. 14 und vom 27. Oktober 2005 – III ZR 71/05, NJW-RR 2006, 109 Rn. 17).“ Die Vorinstanz habe aber übersehen, dass eine persönliche Haftung des Beklagten deswegen in Betracht komme, weil der Beklagte dem Kläger gegenüber die Haftungsbeschränkung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) nicht zum Ausdruck brachte, vielmehr sogar weitgehend den Rechtsformzusatz “UG” nicht führte:

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet der für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Geschäftsverkehr Auftretende – gleichgültig, ob er der Geschäftsführer oder ein anderer Vertreter ist – wegen Verstoßes gegen § 4 GmbHG unter Rechtsscheingesichtspunkten analog § 179 BGB dann, wenn er durch sein Zeichnen der Firma ohne Formzusatz das berechtigte Vertrauen des Geschäftsgegners auf die Haftung mindestens einer natürlichen Person hervorgerufen hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 2007 – II ZR 84/05, WM 2007, 833 Rn. 14 mwN). § 179 BGB begründet insoweit keine allgemeine, verhaltenspflichtenorientierte Rechtsscheinhaftung, sondern eine schuldunabhängige Garantiehaftung, die allein auf dem Umstand basiert, dass die unmittelbar auftretende Person durch die dem Vertragspartner gegenüber abgegebene sachlich unzutreffende Erklärung den Vertrauenstatbestand geschaffen hat, ihm hafte zumindest eine (natürliche) Person unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen (BGH aaO Rn. 17). Ob der Vertreter dabei Unterlagen verwendet hat, die er selbst zur Verfügung gestellt bekommen hat, ist ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1991 – II ZR 293/90, NJW 1991, 2627, 2628). Es ist vielmehr seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Unternehmen, für das er handelt, korrekt bezeichnet wird.

Der Bundesgerichtshof verwies den Fall an die Vorinstanz zur weiteren Aufklärung und Entscheidung zurück, da noch Detailfragen zum Anlegerhorizont des Klägers, also zu dessen Vorwissen zu hochspekulativen Blind Pool-Investitionen, sowie zu deliktischen Tatbeständen und zu Verjährungsfragen zu klären gewesen sind.

Haftungsdurchgriff auf den Geschäftsführer der Anlageberatungsfirma

Der Fall ist sehr erfreulich für Kapitalanleger und Kapitalanlegerinnen, da er die Rechtsprechung zum Durchgriff auf das Privatvermögen bei GmbHs und Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) ergänzt um die Klarstellung, dass es der Durchgriffshaftungsgrundsätze gar nicht bedarf, wenn der Geschäftsführer und Inhaber der Gesellschaft beim Kapitalanleger als natürliche Person auftritt. Das ist dann der Fall, wenn er auf den schriftlichen Unterlagen, in der Korrespondenz und bei Mails als Privatperson oder Einzelunternehmer auftritt und nicht offenlegt, dass er eine UG (haftungsbeschränkt) besitzt und möchte, dass diese die Anbieterin und Vertragspartnerin für die Kapitalanlageberatung und -vermittlung ist. Dies kann für Anleger von großem Vorteil sein, wenn die Anlageberatungsgesellschaft insolvent, liquidiert, vermögenslos oder aus sonstigen Gründen zahlungsunfähig ist. Wenden Sie sich auch gerne an uns, wenn Sie Informationen zu den rechtlichen Voraussetzungen der Durchgriffshaftung auf den Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin benötigen, z.B. weil ein insolventes Anlageberatungsunternehmen Ihre Vertragspartnerin ist.

Anwaltliches Vorgehen gegen Finanzberater auf Schadensersatz

Gerne berät unsere Fachanwaltskanzlei DR. GÄBHARD RECHTSANWALTSKANZLEI Sie umfassend zu den rechtlichen Möglichkeiten auf Schadensersatz gegenüber Ihrem Finanzberater/Ihrer Finanzberaterin oder Ihrem Finanzvermittler bzw. Ihrer Finanzvermittlerin sowie je nach den Voraussetzungen im Einzelfall zu persönlich haftenden Verantwortlichen im Konzern der Anbieterseite und/oder zu weiteren Haftungsträgern. Weiterführende Informationen zur Haftung von Finanzdienstleistungsunternehmen auf Schadensersatz bei Falschberatung und/oder mangelhafter Vermittlung finden Sie auf unserer Webseite hier zum Kapitalanlagerecht:

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